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Ich bin Rheinländer – ich kann nicht anders – das Karnevals-Gen ist in mir drin. Zu Karneval ergießt sich der Heilige Geist massiv bei uns. Im kölschen Karnevals-Gottesdienst geraten 500 bunt kostümierte und geschminkte Gläubige aller Generationen in Ekstase. Auch ich stehe, springe, schunkele im bunten Kostüm und mit Netzstrümpfen, von denen nicht nur die Seniorinnen begeistert sind.

Ich weiß, am „letzten Sonntag vor der Passionszeit“ klingt das außerhalb des Rheinlands befremdlich. Schließlich beginnt die Vorleidenszeit mit den Predigttexten bei uns Protestanten schon drei Sonntage vor der Passionszeit. Wir leiden am Leid der Welt, nur wir ändern damit nichts. Da kommen wir Rheinländer nicht so richtig mit. Auch Jesus war dem Leben zugewandt, feierte, aß und trank Wein. Menschennähe, Berührung und Freude sind lebenswichtig. Wir wollen uns freuen, glücklich sein miteinander – dafür haben wir unsere „fünfte Jahreszeit“. Unsere sozialen Aufgaben und Anliegen lassen sich mit dieser lebensbejahenden Einstellung noch besser erfüllen.

Unser Grafiker (32 Jahre lang war er engagierter Presbyter) hat heimlich auf unser Holzkreuz im Gemeindesaal „Tünnes“ (kölsches Original, Anm. der Redaktion) geschrieben, was er eigentlich nicht gut fand, wohl aber die Diskussion darum. Noch nie wurde so intensiv öffentlich über die Bedeutung des Kreuzes in der Stadt diskutiert. Die zeitgemäße Übersetzung von INRI („Jesus von Nazareth, König der Juden“ - ein Lächerlichmachen über Jesu Kreuzestod) kann doch nur heißen: „Seht, da hängt ein Narr, der den Anspruch hat, die Welt zu verändern!“ Aber ist dieser Narr ein „Tünnes“, der nicht um die Realitäten weiß, z.B. um die Hintergründe des Krieges im Kongo oder die soziale Not, die durch die Finanzkrise noch verstärkt wird? Ich sage: Christus weiß um uns, hält dagegen, steht ein, uns zur Ermutigung und zum Widerspruch, zum Einstehen für Leben.

Im Mittelalter führten die Armen im Kölner Karneval in anarchisch freier Weise die Reichen, die Obrigkeit, den Kardinal in ihrer kleinkarierten Bigotterie vor, machten sich lustig drüber und entlarvten sie. Vor dieser Freigeistigkeit hatte Napoleon Angst und verbot erfolglos den Karneval in Köln. Die nachfolgenden protestantischen Pnode:field-domain-der-wochereußen lernten daraus und gründeten 1824 das „Festordnende Komitee“ des Kölner Karnevals. Aber auch das nützte nichts. Der Widerspruchsgeist der Menschen war zu stark und so entstand der Kölner alternative Karneval.

Ich nenne das ur-christlich, ur-protestanisch und stehe für diese Kultur in meiner Gemeinde und der ganzen Stadt spürbar ein. Christoph Blumhardt sagte: „Christenmenschen sind Protestleute gegen den Tod!“ Genau das erlebe ich im Kölner Karneval: Wir lassen uns nicht kleinkriegen! Im Karneval spielen und erleben wir unsere Unterschiedlichkeit, unser Miteinander, die Faszination am Anderen und Fremden, dazu auch unsere herrliche Erotik und gegenseitige Anziehungskraft. Manchmal glaube ich zu hören, wie unser Gott lacht und sich über uns und mit uns von Herzen freut.

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