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Vielleicht ist es eine Gruselerinnerung: Balladen auswendig lernen. Abgefragt werden. Wieder und wieder die Füße im Feuer oder Wind, der durch Alleen streift, Reime zum Gotterbarmen. Für manche ist das so.

Aber es gibt auch die geliebten Gedichte, die durchs Leben begleiten. Einmal gefunden, versenken sich ihre Verse in Hirne, Herzen und Schubladen. Und kehren unvermutet ins Bewusstsein zurück, bei einem Spaziergang durch den Park, bei einer blauen Dämmerstunde im Cafe. Zeilen, die bereichern, trösten und ermutigen. „Man muss weggehen können und doch sein, wie ein Baum...“ Als Literaturwissenschaftlerin staune ich, dass Exilgedichte populär sind wie nie. Ist die Erfahrung der Fremde und des permanenten Neuanfangs jetzt erst im Privatleben aller angekommen?

Und damit die Frage: Was bleibt? Ermutigungstexte tun offenbar not. „Weithin im Saal der Zeiten sieht mein Blick dem Spiel des Lebens zu...“ Nach Lieblingsgedichten gefragt, antworten nicht wenige mit der Zuckerlust des Barock oder dem tugendhaften Frauenbild der „alten Waschfrau“. Auch das erstaunt.

Wandeln wir unter Menschen, die das leben? Gehören wir lebend und lesend ganz verschiedenen Epochen an? Und dann die Natur. Immer noch „fallen die Blätter, fallen wie von weit...“- als hätte sich im Naturerleben nicht das allergeringste getan. Im Textkonsum der Lesenden jedenfalls nicht. Bei den großen Dichtern schon. „Die Kastanienbäume blühen. Ich sehe es, äußere mich aber nicht dazu“, schrieb Günter Eich lakonisch.

Von dort ist es nicht mehr weit zu einem so überraschenden Text wie „Bäume auswickeln“ von Marion Poschmann: „(...) was wir für ewig schätzen, halten sie kahl / die Luft naturtrüb, der Vorgarten / flüchtig, die Tage am seidenen Faden, / wir sortieren Hagelkörner nach Gewicht, / die Nebel nach Dichte...“. Ob die Zeilen im Gedächtnis bleiben? Verdient hätten sie´s.

In unserer Zeit werden massenhaft Gedichte geschrieben. Fast jeder hat einen Entwurf unter dem Kopfkissen. Gelesen werden viel weniger, geschweige denn gekauft. Schon gar nicht Gegenwartstexte. Schade eigentlich. „Zwischen fast nichts und nichts / wehrt sich und blüht weiß die Kirsche.“ (Enzensberger)

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