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Sie sind ein zertrennliches Paar - Schuld und Sühne. Dostojewskis Student Raskolnikow erfährt in dem Roman „Schuld und Sühne“ von der Möglichkeit seiner Rettung erst, nachdem er zum Mörder geworden ist. Es muss schon etwas vorliegen, damit Sühne geschehen kann - auch wenn es sich dabei nicht allein um Verbrechen handelt.

„Schuld ist etwas so Allgemeines wie eine Sonnenfinsternis: sie gilt für jeden“ sagt Siegfried Lenz in seinem Theatertext „Zeit der Schuldlosen“. Und “Die einzige Möglichkeit, ihr zu begegnen, liegt darin, sie anzuerkennen, sie zu übernehmen. Wir haben keine Wahl, als bestehende Schuld zu unserer eigenen Schuld zu machen; dann erst kann sie uns ändern.“ Das Missliche ist nur, dass man auch mit einer solch erwachsenen Haltung niemals davonkommt - immer wieder lädt man Schuld auf sich und bleibt mindestens für seine Erdentage auf Sühne, mehr noch: auf Versöhnung angewiesen.

Sühne heißt ursprünglich wohl Beschwichtigung, Beruhigung. Wer sühnt, der sorgt für Stille und Frieden, der lindert und „küsst“ - jedenfalls im niederländischen Sprachgebrauch. Interessant ist die Frage, wer das Subjekt des Handelns und wer das Objekt ist, das Ziel der versöhnlichen Aktivitäten. „Er tut alles, um seine Schuld zu sühnen“, sagt man und sieht jemanden vor sich, der sich abrackert, um ein Unrecht wieder gut zu machen.

Hat man das unabweisliche Gefühl, den lieben Gott versöhnen zu müssen, dann haben sich von alters her verschiedene Opferpraktiken nach dem „do ut des“- Prinzip durchgesetzt. Man verehrt dem oder den höchsten Wesen Naturalien, Blumen, Geld, Kerzen, Bilder, Tiere, gar andere Menschen - und hofft, die Götter oder der eine Jenseitige, Transzendente werden dadurch froh, nein gnädig gestimmt und lassen es einem wohl ergehen.

Der Versuch solcher Sühne kann auch in vergeistigter Gestalt unternommen werden - als Gebet, Wallfahrt oder Askese: “Lieber Gott, ich verzichte einen Tag lang auf meine Zigaretten, dafür…“ In den Ausführungsbestimmungen des päpstlichen Großpoenitentiars, des „Großbestrafers“ zur einer römischen Bulle zu Beginn des 21. Jahrhunderts kann man lesen, dass im Jubeljahr 2000 Generalablass für Sündenstrafen zu erhalten war - durch Abstinenz von Qualm, Promille oder Liebeswonnen. Luther hat vor 489 Jahren die Einsicht gewonnen, dass es so zwar geht, aber eben nicht funktioniert: “Gerecht machen ist allein Gottes Sache, wie auch die Schöpfung allein Gottes Werk ist.“ Kind, Mann und Frau können vielleicht einen einzelnen Gedanken, ein dahingesagtes Wort oder eine singuläre Tat sühnen.

Die wahre Versöhnung mit dem Ursprung und Ziel ihres Lebens erreichen sie nicht aus eigener Kraft - sie wird von Gott geschenkt. Er ist derjenige, der projektierende und übertragende Sündenbock-Jagden und krampfhafte Sühneveranstaltungen jeder Art überflüssig macht - durch eine sensationelle und einmalige Nähe zu uns Erdenwesen, die von Geburt, wahrer Menschwerdung, furchtbarem Leiden und Sterben bis hin zu neuem, ewigen Leben alles einschließt, was irdisch und was himmlisch ist. Michelangelos Schöpfer berührt auf dem berühmten Gemälde in der Sixtinischen Kapelle mit seinem Zeigefinger den Adam.

Im Versöhnungsgeschehen reicht er - bildlich gesprochen - dem Menschen für immer und ewig die ganze Hand. Da gibt´s nichts zu handeln, zu feilschen. Da kann man nur noch getrost einschlagen... Versöhnung in einer entzweiten, einer endlos gespaltenen Welt umfasst Gefühle, in denen Vernunft steckt und kritisch-nüchterne Weltwahrnehmung, die barmherzig bleibt. Versöhnung mit sich selbst und anderen: Aus tumultuösen Gedanken im eigenen Kopf wird unumstößliche Klarheit. In ein hin- und hergerissenes Herz kehrt nach langen Gesprächen allmählich Ruhe ein. Kämpferisches, böse verletzendes Gegeneinander wandelt sich zu staunend-interessiertem Miteinander. Nicht „do, ut des“ - „ich gebe, damit du gibst“ ist das Wesen christlicher Versöhnung, sondern: Gott gibt, damit Menschen mit Leib und Seele, mit Hirn und Herz sich selbst und anderen etwas geben können.

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